Parentifizierung

… wenn Kinder zu viel emotionale Verantwortung tragen müssen.
.
Kinder sind in ihrer Existenz von ihren Eltern abhängig. Sie brauchen ihre Eltern (oder andere primäre Bezugspersonen), um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dazu zählen nicht nur die Versorgung mit materiellen Dingen und einer körperlichen Sicherheit, sondern auch die Versorgung der emotionalen Bedürfnisse des Kindes.
.
Kinder können diese Bedürfnisse zwar nicht direkt selbst befriedigen, doch haben sie immer im Blick, in wie weit ihre Eltern dazu gerade in der Lage sind. Wenn Eltern ständig oder wegen einer eigenen Krise vorübergehend nicht in der Lage sind, für die Bedürfnisse des Kindes zu sorgen, werden Kinder alles daran setzen, umgekehrt die Eltern emotional zu stützen. Sie zu trösten, Aufgaben zu übernehmen, Verantwortung zu tragen. Das Kind kommt so selbst in die elterliche, versorgende Rolle. Es hofft so unbewusst, die Eltern soweit zu stabilisieren, dass sie ihrer elterlichen Rolle wieder voll gerecht werden können oder zumindest die Versorgung des Kindes nicht weiter einbricht.
.
Die daraus folgende Überforderung bedeutet für das Kind Einbußen in der eigenen Entwicklung von Autonomie und Bindungsfähigkeit. Damit werden dem Kind unverhältnismäßige Verantwortungen auferlegt bzw. das Kind fühlt sich verpflichtet, einzuspringen und zu erledigende Aufgaben zu schultern. Schwierig wird es, wenn ein Kind sich so auf sein Gegenüber einstellt, dass es selbst quasi gar nicht mehr zu existieren scheint. Die Fähigkeit, empathisch zu sein und sich anzupassen, kann, wenn es sich um eine grundlegende soziale Strategie handelt, dazu führen, dass eigene Gefühle, Bedürfnisse und Grenzen missachtet werden, das eigene Selbst allmählich „verschwindet“ – denn es scheint keine Relevanz zu haben.
.
Das Kind kann sich in dieser Rolle einerseits wirkungsvoll und mächtig erleben. Andererseits fehlt das sichere, begrenzende und stabilisierende Gegenüber, was zu intensiven Gefühlen von Haltlosigkeit und Überforderung führen kann. Hält diese Situation an, können dem Kind wichtige Erfahrungen von Leichtigkeit und Spiel fehlen. Die Abgrenzung von den als bedürftig erlebten Eltern kann später schwerer fallen. Das Gespür für die eigenen Bedürfnisse ist evtl. schwächer ausgeprägt und so ist es für solche Kinder auch als Erwachsene herausfordernder, sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern.
.
Dieses Muster konnte besonders bei Kindern und Enkelkindern der Kriegs- und Nachkriegsgeneration beobachtet werden, die auf diese Weise von den Traumata ihrer Eltern betroffen waren. Aber auch bei Familien mit Flucht- und Migrationskontext sowie Familien mit psychisch erkrankten Elternteilen, ist Parentifizierung keine Seltenheit.⠀

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.