Ich habe sehr sehr lange gebraucht um zu erkennen, dass eine meiner Bezugspersonen in früher Kindheit und auch Personen in meinem erwachsenen Umfeld ein/e verdeckte/r Narzisst/in ist/war. Ich hatte bis dato geglaubt, dass ich Narzissmus / bzw. Narzissten schnell an folgenden Anzeichen erkennen kann:
- „müssen immer im Mittelpunkt stehen“, „sind selbstverliebt“, „profiliert sich gern mit Erfolgen und angeblichem Reichtum“, „erobert gern“, „verliert genauso schnell das Interesse, wenn er das Objekt der Begierde erobert hat – dann muss die nächste Eroberung/der nächste Sieg her“ (Thema love bombing)
- sind wahre Kontrollfreaks – „Egal ob Ort, Termin oder Aktivität: Er/Sie entscheidet.“
- wird schnell aggressiv – wenn etwas nicht nach Plan läuft, offenbaren Narzissten ihr volles Aggressionspotential. Er/Sie wird unfreundlich, macht jemanden bei kleinsten Verfehlungen zur Schnecke und das auch gern vor anderen. (Thema Machterhöhung)
- ein Narzisst entschuldigt sich NICHT – er hat immer Recht und wird sich deshalb auch nie wahrhaft entschuldigen. Vorsicht – manch einer entschuldigt sich aber verändert sein Handeln danach nicht – das ist keine Entschuldigung, sondern Manipulation. Gern „bist du auch an allem Schuld“ – wenn du nicht das und das gemacht hättest, dann hätte der Narzisst nicht so handeln „müssen“
- ein Narzisst ist ein Hans Dampf in allen Gassen und kennt viele Leute – er ist oberflächlich „beliebt“, aber durch seine sehr Ich-bezogene Art fällt es ihm schwer tiefgründige Beziehungen aufzubauen. Auch merkt er nicht, dass er mit seinem Verhalten andere Leute verletzt, denn dafür fehlt es ihm an Empathie. Er hat ggf. viele Freundschaften aber nie für lange und meist auch nicht in die tiefe.
- er scheut keine Konflikte – er hält sich für wichtiger und wertvoller als seine Mitmenschen. In seinen Augen haben die Anderen ja eh keine Chance gegen ihn. Daher geht er gern in die Konfrontation.
Ich denke, die Liste ist endlos erweiterbar :-) Wichtig ist aber noch zu wissen, dass es sich bei den allermeisten Menschen nicht um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt, sondern lediglich um narzisstische Züge. Die hat wahrscheinlich jeder von uns. Bei den einen sind diese Wesensarten stärker ausgeprägt, bei den anderen weniger. Sobald du merkst, dass dir der Kontakt nicht gut tut, darfst du dich von diesen Menschen fern halten. Du kannst/musst sie nicht heilen und bist auch nicht dafür verantwortlich, dass sie sich selbst erkennen. Es gibt immer eine Geschichte dahinter, wieso Menschen zu Narzissten werden… dafür können wir Mitgefühl aufbringen ABER in aller erster Linie darfst du gut auf dich aufpassen.
Hinweis: Selbstbezogenheit kann bis zu einem gewissen Grad auch Vorteile haben. Menschen, die zu positivem Narzissmus neigen, haben zumeist eine grundpositive Einstellung zu sich und haben ein stabiles Selbstwertgefühl entwickelt. Sie ruhen in sich, leben harmonisch, sind teamfähig und müssen niemandem etwas beweisen. Sie müssen niemanden abwerten um sich selbst aufzuwerten.
Kommen wir jetzt zum verdeckten Narzissmus. Das fatale daran, dass man diesen eben nicht so einfach erkennt. Viele Betroffene haben trotz großem Ego oft mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Wer nach außen unsicher und verletzlich wirkt, wird nicht so schnell als Narzisst/in entlarvt. Das Problem? Narzissten können anderen Personen nachhaltig schaden. Sie kratzen am Selbstbewusstsein anderer und tragen mit ihrem Verhalten oft zu toxischen Beziehungen bei, die erst Jahre später überwunden werden. Leider merkt man dies also meist erst viel zu spät.
Eigenschaften eines verdeckten Narzissten:
- Betroffene sind weder übertrieben geltungsbedürftig, noch laut, geschweige denn maßlos von sich überzeugt. Sie sind selbstkritischer, wollen aber dennoch bewundert, bestätigt und anerkannt werden.
- Sie opfern sich auf (gern zu finden in Pflege/Gesundheitsberufen, in Ehrenämtern oder im Freundeskreis ala „derjenige ist immer für alle da“). Im Zweifel geben/helfen sie aber nicht aus dem Herzen heraus, sondern nur für ihr Image oder für die Bestätigung. Sie schenken! aber zumeist nicht „gerne“ – weil sie immer das Gefühl haben, sie geben etwas von sich weg. Das perfide – sie beschenken dich und du bekommst aber das Gefühl, du wärst ihnen etwas schuldig. Gern wird auch eine imaginäre Liste geführt, ala… du hast mir etwas geschenkt, also muss ich dir auch etwas schenken, und wenn ich dir etwas schenke, erwarte ich bewusst/unterbewusst auch irgendwann ein Rückgeschenk. (Vorsicht: das ist denjenigen ggf. nicht mal bewusst. Du merkst das aber an deinem Gefühl… wenn du dich schuldig fühlst und das Gefühl bekommst, du „müsstest“ dich bedanken, dann läuft was schief.
- Sie sind super anpassungsfähig – so eine Art Chamäleon – verändern daher ihre Werte / Meinungen / Prinzipien je nach dem Umfeld in dem sie sich gerade aufhalten. Das können sie, weil sie kein eigenes ich entwickelt haben. (zumeist durch Entwicklungstrauma)
- sie werten sich selbst ab – weil sie dadurch bewusst/unbewusst im Opfermodus sind und dadurch Hilfe/Aufmerksamkeit/Bestätigung bekommen
- falsche Unterwerfung / Demütigung
- die aufgestellten Regeln gelten nur für andere, sie selbst handeln nicht danach
- Hypochondrie… sie erfinden Krankheiten damit sie etwas nicht tun müssen/brauchen und versuchen dann, dich zu manipulieren damit du das auch nicht mehr machen willst… so verschwindet jegliche Freude aus dir und irgendwann machst du nichts mehr allein
- spielen den Gutmensch – wollen gut sein – handeln aber oft böse… Lästern, Mobben usw.
- lenken von sich ab – ziehen sich immer aus der Verantwortung
- passiv aggressives Verhalten – z.B. sie sagen Hilfe zu, vergessen dann aber dies auch zu tun
- Betroffene sind über die Maßen kritikunfähig vs.
- Betroffene fühlen sich eigentlich fast immer ungerecht behandelt. (Beispiel: auf der Arbeit hätten sie längst eine Beförderung inklusive Gehaltserhöhung verdient, ihre Freunde melden sich viel zu selten bei ihnen und überhaupt meint das Leben es nicht gut mit Ihnen). Verdeckte Narzisst/innen suhlen sich nur so in Selbstmitleid. Sie beklagen sich permanent. Erzählt man ihnen, was einen selbst belastet, versuchen sie, dies mit ihrem vermeintlichen Leid zu übertrumpfen.
- und zu guter Letzt… Sie neigen zu übertriebener Abwertungen. Sie können nicht anerkennen, dass jemand anderes den Job besser macht ohne ihn nicht auf irgendeine Art abwerten zu müssen („Für den Job hat sie sich bestimmt hoch geschlafen“)
Beim Tippen dieser Zusammenstellung komme ich nicht umhin, mich selbstkritisch zu fragen bzw. zu bemerken, dass auch ich sicher schon einige Male kritikunfähig, selbstmitleidig und missgünstig war bzw. das ich mich lange Zeit aufgeopfert habe. Ich habe also bestimmt einige Züge dieser Persönlichkeitseigenschaften in mir. Sie wurden mir Jahrzehnte lang vorgelebt und ich erkenne an, dass dies nicht spurlos an mir vorbei gegangen ist. Ich versuche zu reflektieren, mich selbst zu ertappen und bestimmte Verhaltensmuster zu heilen bzw. abzulegen.